Das rote Sofa – Ep.10 – „Ruinen der Erkenntnis“

Ruinen der Erkenntnis Ruinen der Erkenntnis

„Lufthansa flight LH101 to Athens is now ready for boarding! Customers are invited to board! Ihr Flug LH101 nach Athen ist nun zum Einsteigen bereit! Wir bitten die Passagiere sich nun zum Gate zu begeben!“, tönte es aus den Airport-Speakern. Raga beendete eine letzte WhatsApp an Neymo, schnappte ihr Handgepäck und reihte sich zur Ticket-Kontrolle ein. Wortlos händigte sie Reise- und Boarding Pass aus und ging schweigend durch den Tunnel ins Flugzeug. Das übliche „Welcome!“-Grinsen des Flugpersonals. Ein quängelndes Kind. Eine genervte Mutter. Der schwitzende Übergewichtige, der sich durch den Gang quetschte und nach Schweiß müffelte. Davor die junge Dame vom Typ IT-Girl. Der übliche Wahnsinn also. Raga war froh endlich wieder aus dem Land zu kommen. Viel zu lange hatte sie – wie der Rest der Welt – in einer Art Dornröschenschlaf verbracht. Sie hatte zu jenen gezählt, die es vorgezogen hatten die Gentherapie, die in verbrecherischer Absicht „Impfung“ genannt wurde, abzulehnen und zu warten bis der Sturm vorüber gezogen war. Jetzt wo das Wesentliche vorbei war, war das Einzige was sie wollte ihre Augen im Glitzern des Mittelmeeres rasten zu lassen. „8,9,10… und 11…“, zählte sie. Sie quetschte ihre Tasche ins Gepäckfach und danach sich selbst auf ihren Platz in der Mitte der Reihe. Neben ihr am Fenster saß ein durchaus gutaussehender dunkelhaariger Mann, der in einen Reiseführer vertieft war. Mit einem höflichen „Entschuldigen Sie bitte…“, bat sie ihren Nachbarn seine Tasche von ihrem Sitz zu entfernen. „Oh! Verzeihen Sie …! Wie unhöflich von mir …“, entgegnete er und stopfte sein Handgepäck unter seinen Seat. „Und? Wohin reisen sie so alleine…?“, setzte er nach. „Jesus…“, dachte Raga ein wenig genervt und in Sorge, der Typ würde versuchen sie den Rest des Fluges anzumachen. „Athen!“, bellte sie schroff, und fügte hinzu, „Überrascht…!?“. Ihr Sitznachbar lächelte verlegen und erwiderte, als ob er ihre Gedanken gelesen hatte:“ Entschuldigen Sie bitte. Ich möchte ihnen nicht zu Nahe treten, ich bin mit Worten manchmal ein wenig ungeschickt. Ich besuche zum ersten Mal in meinem Leben die Ruinen von Delphi. Waren Sie schon einmal dort …?“ Raga horchte auf, sah ihm in die Augen – hübsche Augen – ließ sich zu einem milden Lächeln herab und antwortete schließlich mystisch: „Delphi … ah … ich hab dort alles gesehen was es zu sehen gab. Diesmal einfach nur nach Zakynthos. Ich wünsche Ihnen jede Menge lebensverändernder Eindrücke.“, und fügte in Gedanken hinzu: „Ich lasse meine Ruinen der Erkenntnis hinter mir und ein anderer begibt sich gerade auf seine Reise zu ihnen…“. „Auch schön! Und … danke…!“, erwiderte der Mann etwas verwirrt, steckte seine Nase aber schnell wieder in seinen Reiseführer. Er erinnerte sie an Miku. Äußerlich gar nicht. Zwei völlig verschiedene Menschen. Attraktiv, ja! Aber nicht ihr Typ. Das Modell junger, dynamischer Geschäftsmann mit Seitenscheitel war ihr zu langweilig. Aber irgendwie war da eine Ähnlichkeit. Die selbe soziale Unbeholfenheit.
Und seine Energie. Seine Aura. Wie er. Aber nicht er.

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