Death Rehearsal – Ep.4 – „Der Schuss“

Der Schuss

Ein Knall. Anna öffnete die Augen. Ein Knall? Nein, es hatte sich eher angehört wie ein … ja, ein Schuss. Wer ballert in dieser friedlichen Gegend am Abend herum? Plötzlich war sie hellwach. Mit einem Mal war all ihr lähmender Schwermut weggefegt. Sie blickte nach unten und schauderte ob der Höhe. Den Wind in ihren Haaren. Sie wich reflexartig zurück, stürzte dabei. Setzte sich elegant auf den eigenen Arsch. Was? Verdattert, aber zugleich zum ersten Mal seit Wochen völlig klar im Kopf, saß sie im Betonstaub im letzten Geschoss der Baustelle. „Was tue ich hier bloß…?“ Plötzlich schien der Gedanke sich das Leben eigenhändig nehmen zu wollen völlig absurd. Absurd wie die Lyrik von Ernst Jandl. Ottos Mops mopst! Sie hatte die letzten Wochen wie in einer Art Hypnose erlebt. Irgendwo gefangen in einem Albtraum, der nur Grautöne, Traurigkeit und das Nichts der absoluten Sinnlosigkeit kannte. Trostlosigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Sie begriff nicht was gerade geschehen war. Ein Schuss? Sich mit den Händen den Staub von den Jeans bürstend, stand sie langsam auf. Mit einem Mal überkam es sie und sie brach in hysterisches Gelächter aus. Lachen. Das Lachen einer vom Tode Verschonten. Einer, die vom Scheiterhaufen gesprungen war. „Nicht heute, Großinquisitor der Verzweiflung!!“, schrie sie in die untergehende Sonne. „Nicht heute!!“ und lachte sich dabei wie eine Verrückte die Kehle wund. Manisch. Aber seltsam befreit. Lachend und zugleich hustend lief sie die frisch betonierte Treppe hinunter, zwängte sich, unten angekommen, durch den Spalt im Baustellen-Zaun, durch den sie eingedrungen war, und betrat das Trottoir der Gasse von der sie dachte niemals je wieder zurück zu kehren. Sie blickte sich um und entdeckte die Würstelbude an der nahegelegenen Kreuzung. „Bier…!“, überkam es sie. Eilig lief sie hinüber. Der Mann in der Bude bereitete gerade den Hot Dog für einen Studenten zu. Vorlaut rief sie: „Was für Bier haben Sie?“ Der schwerfällige Mann, der es gar nicht leiden konnte, zur Eile gedrängt zu werden und Vordrängler schon gar nicht mochte, schaute sie mürrisch an und raunzte ein gnädiges „Ottakringa, Corona, Budweisa“ „Ein Budweiser bitte!“ Unbehelligt wandte sich der Würstelbrater dem Studenten zu. „Siaß* oder schoaf*…?“ „Siaß, bitte!“, antwortete der junge Mann. „Na, du bist a a Sötana*. An Siaßn in an Hot Dog …“, schmunzelte der Mann. „Nein, warten Sie, ich nehm´ zwei!“, fuhr Anna wieder dazwischen. „Zwa wos…?“, maulte der Mann. „Budweiser bitte!“ „Mocht vier fufzig.“ „Für zwei Bier?“, fragte Anna nach. „Na, heast Schatzi, i red´ mit Dein Kollegen.“, knurrte der Wurstelbrater. Mit einem gönnerischen „Passt scho.“ wechselten ein 5 Euro-Schein und ein Hot Dog mit Kremser-Senf den Besitzer. Anna schob sich zur Luke im Glas. „Aiso, Gnädigste…“, meinte der Wurstelbrater, „zwa Budweiser wüst hom?“ „Ja bitte.“ „Brauchst a Sackl?“ „Ja, bitte.“ „Fünf ochzig.“ Anna kramte in ihren Hosentaschen nach ihrem letzten Geld. „Oh, ich glaub´ ich hab´ nur fünf fünfzig…“ Der Mann schürzte seine schwitzende Oberlippe. „Ok, Hasi! I glaub´ Du brauchstas heit. Passt. Gib her.“ Damit überreichte er ihr die Einkaufstüte mit den zwei Dosen Bier. „Und jetzt schau dass´d weida kummst!“ Mit einem schüchternen „Danke!“ legte sie ihre letzten Münzen auf die Theke. „Auf Wiedersehen!“ „Jo, schleich di!“ Anna entnahm der Tüte eine Dose, riss sie hastig auf, trank gierig den kalten Gerstensaft in einem Zug und warf das leere Aluminium sogleich begleitet von einem lautem Rülpsen in die Tonne neben der Bude. Sie wandte sich um und machte sich in Richtung U-Bahnstation davon. Der Würstelbrater sah ihr noch eine Weile nach, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwunden war und maulte ein alles- oder aber auch nichtssagendes „Na seawas…“.

* siaß = süß / schoaf = scharf / a a Sötana = auch ein Seltener

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