Death Rehearsal – Ep.2 – „Die Baustelle“

Die Baustelle

„Es war leichter als ich dachte, hier hoch zu kommen.“, blitzte es durch ihren Kopf. Klar denken konnte sie schon seit Monaten nicht mehr. Der Wind blies ihr ihr blondes Haar ins Gesicht. Mit leeren Augen starrte sie in die Tiefe. Warum sie noch zögerte wusste sie nicht. Sie stand einfach da und lies die grausame Schönheit des Asphalt-Dschungels im Licht der untergehenden Sonne ein letztes Mal auf sich wirken. Leere. Das war es. Sie fühlte sich völlig leer. Sinnlos. Wie jemand der mit dem letzten Geld den Bus in die falsche Richtung genommen hatte und am anderen Ende der Stadt mitten in der Nacht an der Endstation im Kalten saß.
Wie konnte es nur soweit kommen? Sie wusste es. Nach jahrelanger Psychotherapie hatte sie alles begriffen. Sie kannte sich. Sie wusste, wo sie falsch abgebogen war. Sie wusste, wem sie nicht vertrauen hätte sollen. Sie wusste, dass ihre Intuition sie immer gewarnt hatte. Da stand sie dennoch nun mit 54. Alles in ihrem Leben zerstört. Alle Träume zerplatzt. Von allen verraten, hintergangen und belogen. Sie wusste, dass sie neu beginnen konnte. Allein, es fehlte ihr die Kraft.
Sie hatte ihr ganzes Leben gekämpft. Gegen Windmühlen. Verrat war ihr ständiger Begleiter in Form von Dolchen im Rücken.
Geschenke von denen, die sie am meisten geliebt hatte.
Sie hatte sich selbst verschüttet, sich hergeschenkt an Nichtsnutze und Narzissten. Verlorene Seelen. Jahrzehntelang. Sie hatte sich ausgebrannt in der dummen Hoffnung die Liebe der Lieblosen zu verdienen. Das quälende Erbe der Erziehung durch ihren Vater.
Prägung. Faszinierend. Man kann sich vollends bewusst sein, dass man toxische Attraktion zu ebenso toxischen Personen aufgrund seiner Erziehung hat und es ändert nichts am Magnetismus, der einen zu solchen Personen hinzieht. „Better the Devil you know“, sagt man. Wir lieben was uns vertraut ist. Selbst wenn es pure Toxizität ist.

Da stand sie, den Wind im Gesicht. Die Augen leer. Die Arme kraftlos an den Schultern hängend. Sie wusste, sie könnte neu beginnen. Sie wollte nicht mehr. Zu viel war passiert. Es war Zeit zu gehen.
Sie schloss die Augen und atmete tief durch.

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