„Wie konnte ich das nur übersehen…?“, fragte sie sich, „wie ist es möglich, dass ich mich jahrelang so getäuscht habe…? Es muss eine zweite Person im Bild sein. Da ist eine zweite Energiequelle. Nur? Wer ist sie…?“ Raga stand vor dem Spiegel im Badezimmer. Nass. Nackt. Frisch der Dusche entstiegen und wickelte ihr Haar in ein Handtuch. Vor 5 Nächten hatte sie es geträumt, ihm aber keine Beachtung geschenkt und gestern hatte sie während eines Telefonats mit ihrer besten Freundin die Bestätigung erhalten: Miku war ein billiger Hochstapler. Er war gar nicht CFO dieser Bank und er war auch nicht Ado´s Partner. In Wahrheit arbeitete er in einer Fabrik, lackierte Bus-Karosserien mit Grundierlack und war verheiratet mit einer Kasachin mit der er einen fünfjährigen Sohn hatte. „Es gibt keine Zufälle. So oder so. Auch wenn ich mich getäuscht habe. Die Wahrheit kommt dennoch zur mir.“, dachte Raga. Neymo, Ragas beste Freundin, die als Psychotherapeutin arbeitete, hatte tatsächlich ein Beratungsgespräch mit Mikus Ex-Ehefrau gehabt, in dem sie einiges über Mikus wahre Identität und seinen zweifelhaften Charakter erfahren konnte. Unter normalen Umständen hätte sie keine Silbe eines Beratungsgespräches ausgeplaudert, aber Raga war ihre beste Freundin und sie verdiente die Wahrheit über diesen Schwerenöter zu erfahren. „Was für ein mieser Lügner…“, stammelte sie mit Tränen in den Augen. Sie stand unter Schock. Diese Nachricht hatte sie ebenso unvorbereitet getroffen wie die Welt von den Ereignissen des 11. September 2001 erschüttert worden war. „Nein …“, dachte sie, „ich habe mich nicht getäuscht. Ich habe es zugelassen.“ Die Hinweise waren von Anfang an da gewesen. Seine Geheimniskrämerei, seine Angewohnheit selbst einfache Whatsapp-Nachrichten nur am Balkon zu schreiben und für Telefonate immer die Wohnung oder zumindest den Raum zu verlassen um sich in Bad oder Klo einzusperren. Sie hatte das immer als sehr seltsam empfunden. Nicht, dass sie an Einzelheiten seiner Konversationen interessiert gewesen war. Raga hatte an sich kein Interesse Partner zu kontrollieren, bespitzeln oder zu belauschen. Diese Geheimniskrämerei war ihr aber von Anfang an Suspekt gewesen. Erst hatte sie es auf seine vermeintliche Position in dieser Bank geschoben. Jetzt war es klar. Sie hatte sich selbst an der Nase herum geführt und nicht auf die Stimme ihrer Intuition gehört. „Tu das nie wieder!“, schimpfte sie sich selbst als sie Zahnpasta auf die Bürste drückte. „Nie wieder, Raga! Nie wieder!“
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